Eine Ausstellung von MK Kaehne in Zusammenarbeit mit Galerie Semjon Contemporary
Eine weibliche Figur sitzt nackt auf einem Bett und betrachtet ihren Schoß. Das ist der Haupt-Akt der Ausstellung des deutsch-russischen Bildhauers in der Berliner Galerie Semjon Contemporary in Mitte. Hyperrealistisch formuliert Kaehne die Frage nach der Geschlechteridentität in unserer postmodernen Zeit. Das Bett einem Podest gleich, hebt die Frau auf Augenhöhe mit dem Betrachter. Es erfolgt keine Überhöhung im Stil einer christlich-abendländischen Ikonographie. Das Bild der Mutter wird enttabuisiert; die Frau kann sagen, dass sie keine Erfüllung mehr im Mutterdasein empfindet. Gleichsam ist sie nicht länger als Objekt der Begierde dargestellt, sondern nüchtern in Selbstschau versunken.
Wie die Reklame eines Unternehmens prangt die Leuchtschrift MUTTER in kapitalen Lettern hinter ihrem Rücken. Ein veraltetes Konzept, das seltsam im Kontrast zur hyperrealistisch dargestellten Nacktheit der Frau steht. Leberflecke, Hautrötungen, ungeschminkt sitzt sie da. Will nicht gefallen und interessiert sich auch nicht dafür, wie sie ankommt. Über einen Schmink-Spiegel in Selbstschau versunken, ist sie es, die sich da definiert. Ein Akt der Selbstermächtigung. Nicht der Betrachter hat die Macht, über ihre Identität zu bestimmen, sondern die Frau.
Beigeordnet sind ihr der Koffer:Handtasche, aus schwarzem Lack, ausgelegt mit schwarzem Velours, der eine Handtasche, einen Baseballschläger und Hygiene-Tampons enthält; ebenso wie ein Edelstahl-Schneebesen im Objektkasten mit Plexiglashaube, auf der die eingravierte Losung „Destroy“ zu lesen ist. Edel und luxuriös kommen die detailgetreu gefertigten Objekte daher. Erst auf den zweiten Blick fällt die Brutalität und Agression ins Auge. Wie geht das zusammen mit der harmlos aussehenden Dame da auf Bett?
Mit der Aussage „Die Vorliebe der Bourgeoisie für den Surrealismus ist Ausdruck ihrer andauernden Pubertät. Mutter“, lässt MK Kaehne einen Wandteller, Symbol von Spießigkeit, verzieren; hinterfragt die bekannten Stereotype.
Kaehne, der 1963 in Vilnius, Litauen (UdSSR) geboren wird, seine Kindheit und Jugend in Moskau, später in Berlin-Ost verbringt, und seine künstlerische Karriere in der Wendezeit startet, macht die Erfahrung, dass die kommunistische Idee von innen gescheitert ist: die, die den Kommunismus proklamiert haben, sind Dikatoren geworden; der glühende Gedanke war gekoppelt mit Spießigkeit und Borniertheit.
Seine Biografie hat ihn zur künstlerischen Auseinandersetzung mit dem russischen Konstruktivismus geführt. Streng analytisch arbeitet Kaehne am Thema, das Resultat aber ist ironisch. Das biografische Erleben des Künstlers wird Projektionsfläche, die Subjektivtät so lange abstrahiert, bis das allgemein Gültige zu erkennen ist, grammatkalisch-formal wie inhaltlich-diskursiv. „Alles kann in die Kreativität einfließen, durch wachsames Beobachten, ohne Absicht, ohne Wollen. Nur muss es unbedingt wertfrei sein!“ sagt MK Kaehne.
Im Kabinet der Galerie ist eine weitere vom Künstler hyperrealistisch gefertigte Figur zu sehen: die Büste eines Jungen, präsentiert auf einem Sockel mit Plexiglashaube, ein Vitrinenkasten in sowjetrussischem Stil. Der Junge trägt ein Kapuzenshirt mit dem aufgestickten Schriftzug „My mother was a friend of an enemy of the people„; einem Song der Punk-Band blurt entlehnt. Auch hier kein Bruch, sagt der Künstler, denn auch Punk ist Pop (Populär-Musik).
Mit dieser Figur leitet MK Kaehne zu seiner neuen Werkgruppe, oder besser gesagt einem ganzen Zyklus über: „Pi = 3,141...“, einer Endlosserie von Zeichnungen und Objekten, in denen Biografisches, Persönliches, Dadaistisches und Politisches verschmilzt, inszeniert als Gesamtkunstwerk.
„Do not touch …“ (the object) ist da im Rahmen über dem Podest, auf dem in Griffhöhe ein Stecker mit Kabel liegt, zu lesen. Das Kabel hat am anderen Ende auch eine Stecker, der führt hinunter auf den Boden und in eine Steckdose hinein. Ein Paradoxon, das so in der Elektrik gar nicht möglich wäre, und sogar verboten ist.
MK Kaehne spielt die Grammatik der zeitgenössischen Kunst frei nach Boris Groys durch, verortet sich: (Hyper-) Realismus als Antwort auf Realität.
Vernissage: 21. April 2023, 19 Uhr
Gallery Weekend Berlin: 28. – 30. April, Fr/Sa 13 – 19 Uhr, So 13 – 17 Uhr
Künstlergespräch: 6. Mai 2023, 15 Uhr
Ausstellungsdauer: 22.4 – 3.6.2023
Semjon Contemporary, Schröderstr. 1, 10115 Berlin-Mitte; Di – Sa 13 – 19 Uhr u.n.V.