MK Kaehne – Pi = 3,14159

Eine retroaktive Künstlermonographie im DCV-Verlag

MK Kaehne: Day (Koffer: Selbst), 2001, Fotografie, 120 x 160 cm.
MK Kaehne: Day (Koffer: Selbst), 2001, Fotografie, 120 x 160 cm.

Die Biografie des Konzeptkünstlers MK Kaehne (geb. 1963 in Vilnius, lebt und arbeitet in Berlin) oszilliert zwischen Vilnius, Moskau und Berlin.

Vom russischen Konstruktivismus geprägt, zeichnet und baut er Koffer-Skulpturen in Warenhausästhetik, eine Umkehrung des Readymade-Prinzips. Sein Schwerpunkt verlagert sich allmählich vom Formalen zum Psychologischen, hin zu lebensgroßen Figuren wie It’s me (2023): eine hyperrealistische Nachbildung seiner selbst, kopfüber im Schlamm liegend, daneben ein Gartenzwerg.

Kaehne arbeitet streng analytisch, die Ergebnisse aber sind voller Tragik und Ironie. Absichtslose Zeichnungen, in denen Biografisches, Dadaistisches und Politisches verschmelzen, begleiten sein Oeuvre. Ein Gesamtkunstwerk, das die persönliche wie gesellschaftliche Entwicklung nachzeichnet.

MK Kaehne, Koffer: Landschaft, 2005, mixed media, Polyester, Dia/Neon, Chrom, Leder, 188 x 220 x 200 cm (geöffnet). Foto, Arwed Messmer
MK Kaehne, Koffer: Landschaft, 2005, mixed media, Polyester, Dia/Neon, Chrom, Leder, 188 x 220 x 200 cm (geöffnet). Foto, Arwed Messmer

Aus der Malerei kommend, entwickelt Kaehne zunächst Objekte zur Beobachtung und Vermessung des Bildraumes, zeichnet, konstruiert und baut Koffer-Skulpturen, mit denen er Gesellschaftliches, wie Autobiographisches thematisiert. Geprägt vom russischen Konstruktivismus, hineinkatapultiert in die Wendezeit verfolgt er quasi eine fluxistische Strategie, die Brüche seiner Zeit zu verarbeiten.

MK Kaehne ist Bildhauer, der Systeme präzise plant und baut. In ihrer detaillierten Mechanik und konsequenten Ausführung sind seine Skulpturen luxuriöse Erfüllungsbaukästen, die vom Schneebesen bis zur Krawattennadel alles bieten, was man im Alltag braucht. Aber Kaehne ist kein Designfetischist! In ihrer Warenhausästhetik sind seine Werke Kunstobjekte, mit denen er die geschönte Sichtweise der Konsumwelt brechen will.

Grammatikalisch-formal wie inhaltlich-diskursiv stellt er sich in den Kontext seiner Vorbilder Malewitsch oder auch Duchamp. Sucht ein Bild zu kreieren, das stimmig ist, gedanklich und formal. Präzise formuliert der Bildhauer in seinen Objekten die gesellschaftlichen Themen seiner Zeit, nimmt den konstruktivistischen Anspruch ernst.

MK Kaehne, Portrait (My mother was…), 2020/21, Silicon, Haare, Holz, Sweatshirt bestickt, 181 x 68 x 52 cm mit Sockel, Foto Eric Tschernow

In seinen jüngsten Arbeiten verlagert sich der Schwerpunkt vom Formalen mehr zum Psychologischen. Kaehne kreiiert nun lebensgroße Figuren, wie z. Bsp. „It’s me“ (2023). Eine hyperrealistische Nachbildung seiner selbst, kopfüber im Schlamm liegend, neben einem schelmischen Gartenzwerg. Die Arbeit am Thema ist stets streng analytisch, Kaehnes Resultate aber sind ironisch.

Projektionsfläche ist das biografische Erleben des Künstlers. Die Subjektivität wird so weit abstrahiert, dass sie zum Kunstwerk wird. „Alles kann in die Kreativität einfließen, durch wachsames Beobachten. Ohne Absicht, ohne Wollen“, so MK Kaehne, aber „es muss unbedingt wertfrei sein!“

In einer Endlos-Serie datumsloser Zeichnungen „P=3,141…“, die sein komplettes Oeuvre begleiten, lässt Kaehne Biografisches, Dadaistisches und Politisches miteinander verschmelzen. Ein Gesamtkunstwerk, das wie kein anderes die persönlichen wie gesellschaftlichen Entwicklungen vor dem Hintergrund einer Ost-West-Biografie nachzeichnet, ge- und erlebt vor allem in Berlin Prenzlauer Berg.

MK Kaehne: Stalin mit Ameise, o.D. Tusche/ Papier, Prägung auf Passepartout, zweiteilig, 
19,7 x 31,5 cm / 16,2 x 31,5 cm, Rahmenmaße 67 x 50 cm, Foto Eric Tschernow.
MK Kaehne: Stalin mit Ameise, o.D. Tusche/ Papier, Prägung auf Passepartout, zweiteilig,
19,7 x 31,5 cm / 16,2 x 31,5 cm, Rahmenmaße 67 x 50 cm, Foto Eric Tschernow.

Die zeitgeschichtliche Einordnung seines Werkes wird durch einen Text der Kultur-Journalistin Brigitte Werneburg vorgenommen. Werneburg war Redakteurin bei der taz – die tageszeitung und hat Kaehnes Werke bereits 1995 in der Galerie Johannes Zielke und 2017 bei Michael Schultz besprochen. Ergänzt durch ein Gespräch mit der langjährigen Kennerin seines Werkes, Kulturmanagerin Anemone Vostell, in dem Kaehne sein künstlerisches Selbstverständnis erläutert, das im Spannungsfeld von Ost-Sozialisation und West-Erlebnis, staatlicher Protektion und Markt-Freiheit steht.

Die Monographie bildet eine chronologische Übersicht seiner wichtigsten Werke in fließendem Übergang ab: von den Anfängen der Malerei über erste Installationen und Objekte, unterbrochen von Zeichnungen, bis hin zu den teils fotografisch inszenierten Skulpturen.

Insgesamt ist die retroaktive Monographie als bilanzierende Positionierung des Künstlers in unseren Zeiten des Umbruchs, aber vor allem auch vor dem Hintergrund der weltpolitischen Ereignisse, quasi in der Umkehrung des Mauerfall-Phänomens, zu lesen, für das das Berlin der Vor- und Nach-Wendezeit steht.

Cover mit Zeichnung "Pi=3,141..." von MK Kaehne. Gestaltung: müller&friends grafikdesign.
Cover mit Zeichnung „Pi=3,141…“ von MK Kaehne. Gestaltung: müller&friends grafikdesign.

Die Kreiszahl Pi=3,141… beschreibt das Verhältnis von Umfang zu Durchmesser und hat unendlich viele Nachkommastellen. Darin sind bislang keine vorhersagbaren Muster erkennbar, die Ziffernfolge erscheint chaotisch und ist somit eine Konstante ohne Einheit.

In konsequenter Logik aus der räumlichen Arbeit eines Bildhauers übersetzt Kaehne dieses Prinzip der Irrationalität auf die Gestaltung des Katalogs, indem die chronologische Übersicht seines Gesamtkunstwerks, den fließenden Übergang von der Malerei, über die „Werkzeuge zum Koordinieren und Beobachten“ bis hin zu den Objekten und Skulpturen, durch absichtslose Zeichnungen unterbricht, und gleisam den Kreis seines künstlerischen Schaffens schließt.

Die Gestaltung des im November 2024 im DCV-Verlag erscheinenden Katalogs erfolgt in Zusammenarbeit mit der Gestaltungsplattform müller&friends grafikdesign. von Prof. Felix Müller.

Gefördert durch die Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt Berlin, sowie mit freundlicher Unterstützung von Dr. Erika Habermalz, ehm. Galerie Hartwig, Bremen und Galerie Hartwich, Rügen.